Unlängst bin ich umgezogen (die neue Adresse und die neue Telefonnummer finden Sie in der Fussleiste dieser Website). Im Vorfeld gab es einiges abzuklären. Je mehr ich organisierte und telefonierte, desto öfter runzelte ich die Stirn. Der Grund: Ich werde nicht mehr gesiezt. Nicht, dass Sie denken, ich würde mich nun an dieser Stelle darüber beschweren, dass man mich neuerdings überall duzt –denn das ist mir durchaus sympathisch, immerhin bin ich keine 20 mehr, sondern im letzten Jahrhundert geboren. Die Irritation basiert auf etwas anderem. Die Leute können offenbar nicht mehr unterscheiden, ob sie jemanden duzen oder siezen. Oder wollen sie sich nicht entscheiden?

«Syt dihr öpper oder nämet dihr Lohn?»In diesem legendären Satz, der Berner Patrizierin Madame de Meuron zugeschrieben, wird für die höfliche Anrede Ihr verwendet anstelle des in der deutschen Standardsprache üblichen Sie. Doch, was heute üblich ist, war nicht immer so. In älteren literarischen Texten taucht das Ihr immer wieder auf. Die Adelige, der Ritter oder das Burgfräulein wurden geihrzt.

Das Sie hat sich also durchgesetzt – aber nicht überall. Noch heute wird man im Bernbiet als erwachsene Person mit Ihr angeredet, und das ist durchaus höflich gemeint. Man wird damit nicht etwa geduzt, sondern eben – so wie es die Formulierung sagt – geihrzt. Soweit so gut und breit akzeptiert. Weniger gut käme es an, wenn eine Aargauerin, wie ich eine bin, so reden würde, selbst wenn ich mich in Bern niederliesse. Es ist nicht mein Dialekt und würde deshalb sehr aufgesetzt wirken.

Gar nichts zu suchen hat die Anrede Ihr an meinem Wohnort Zürich (früher) oder Luzern (neu). Das Ihr wendet sich an mehrere Personen, die man duzt – es handelt sich um die zweite Person Plural (für diejenigen, die sich noch an den Deutschunterricht ihrer Schulzeit erinnern). Genauso wie es in der Standardsprache der Fall ist.

Vielleicht ist das der Grund für meine Irritation! Wenn ich von einem völlig Fremden am Telefon mit Ihr angesprochen werde, wirkt das auf mich, wie wenn mein Gesprächspartner mich duzen möchte, nicht aber den Mut hat, es tatsächlich zu tun. 

Eine nicht repräsentative Umfrage bei Bekannten hat ergeben, dass der eine oder die andere esauch macht – ohne sich der Wirkung bewusst zu sein. «Irgendwie kommt mir das Ihr weniger streng vor», meinte zum Beispiel eine Kollegin, aber auch: «Mir war nicht bewusst, dass ich diese Anredeform verwende.» Und vor allem nicht, dass sie Leuten wie mir äusserst unangenehm ist. 

Genau: richtig unangenehm. Je länger eine Person mich ihrzt, desto lieber möchte ich das Gespräch beenden.

Deshalb meine Bitte: Entweder das altmodische Sie verwenden, das durchaus modern wirken kann, weil es je nach Situation einfach Stil hat, oder dann gleich mit dem Du ins Haus fallen, als ob wir alte FreundInnen wären.

(Bildnachweis: Carmen Janosch auf Pixabay)

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