Selten wurde so oft an die Solidarität appelliert wie in den vergangenen Monaten. Doch was, bitte schön, heisst eigentlich Solidarität?
Wikipedia sagt dazu: «Solidarität oder solidarisch bezeichnet eine (…) Haltung der Verbundenheit mit (…) Ideen, Aktivitäten und Zielen anderer. Sie drückt ferner den Zusammenhalt zwischen gleichgesinnten oder gleichgestellten Individuen und Gruppen (…) dar.».
Frage 1: Leben wir in einer solidarischen Gesellschaft?
Oder anders gefragt: Zahlen die Reichen für die Armen? Werden Junkies, die um einen Zustupf für die Notschlafstelle bitten, von Passanten unterstützt? Wird die Sexarbeiterin, die sich die Beine in den Bauch steht, zu einer Tasse Kaffee eingeladen?
Natürlich nicht! Denn, was gehen die mich an – richtig?
In der Pandemie sei der Zusammenhalt stärker geworden, heisst es hier und dort. Wirklich? Man schaut wie und eh auf sich, die eigene Familie, auf die Nächsten. Bereits bei den Übernächsten hört es auf.
Doch jetzt wird sie eingefordert, die Solidarität. Jede und jeder soll sich gegen das Corona-Virus impfen lassen.
Solidarität kann man nicht erzwingen. Wenn man sie verordnet, verlangt man genau genommen Gehorsam. Kann Solidarität entstehen durch Zwang der Gruppe? Eher nicht. Denn zuerst müsste man sich über das Ziel einig sein, müsste man Einigkeit aushandeln.
Doch wo wird ausgehandelt und von wem? Aktuell werden Feindbilder aufgebaut, Konflikte brechen auf in Familien und zwischen Freund*innen – weil sie oder er nicht geimpft ist, weil sie oder er das alles für Gugus hält oder umgekehrt.
Frage 2: Wem gegenüber wollen wir uns solidarisch zeigen?
Im Rahmen der laufenden Impfkampagne wird argumentiert, wir alle müssten Rücksicht nehmen, um unsere sogenannte Freiheit zurückzubekommen. Gleichzeitig beobachte ich, dass Abstände nicht mehr eingehalten werden und dass wieder mehr gedrängelt wird.
In grösseren Unternehmen ist es inzwischen möglich, sich am Arbeitsplatz zu impfen – schliesslich hat der Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Angestellten. Doch wo ist diese Fürsorgepflicht, wenn es um Überlastung, Mobbing und Burnout geht? In diesen Fällen wird gerne an die Eigenverantwortung appelliert. Impfen sollen wir uns, damit es keine Krankheitstage gibt am Arbeitsplatz. Solidarisch sollen wir wohl sein, damit fleissig weiterkonsumiert werden kann.
Und wie sieht es mit der Solidarität gegenüber dem Rest der Welt aus? Werden Impfstoffe gerecht verteilt oder geht es vor allem darum, dass in den sogenannten Industrieländern möglichst bald möglichst alle geimpft sind?
Das ist nicht Solidarität, sondern die reinste Heuchelei!