Es war im Sommer vergangenen Jahres. Also zeitlich vor dem Beschluss des Bundesrates im Herbst, via Zertifikatspflicht zwei Kategorien von Menschen zu schaffen: die, die dürfen, und die, die von bestimmten Tätigkeiten fortan ausgeschlossen bleiben sollten (Gastronomiebesuche, kulturelle Anlässe, sportliche Aktivitäten etc.).
Durch jenen Beschluss wurde eine willentlich herbeigeführte Diskriminierung von (bis heute) rund 30 Prozent der Bevölkerung geschaffen. Die Logik des Politmodells, das dabei zur Anwendung kommt, lautet: Diskriminierung im Namen einer “höheren Sache”.
Dieses Modell hat geschichtlich zwar schon ungleich drastischere Formen angenommen, und das heutige Vorgehen Chinas gegen die Uiguren ist um mehrere Stufen brutaler und menschenzerstörender als die hiesige Diskriminierung. Argumentativ begründet, im Sinne der “höheren Sache”, wurde diese mit der Vermeidung von Pandemiespitzen und der Erhöhung der Durchimpfungsrate. Letzteres freilich verfing, wie wir nun alle wissen, nicht.
Es war im vergangenen Sommer an einem Samstag, als es in Luzern eine Demonstration gegen die behördlichen Covid-19-Massnahmen gab und zeitgleich eine Gegendemonstration, welche für kulturelle Vielfalt und ein farbiges Lozärn eintrat.
Wir hätten an beide Demonstrationen gehen müssen. Für einen Moment überlegten wir uns noch, ob wir uns aufteilen wollen: “Du an die eine Demo, ich an die andere”. Denn beide Anliegen – Schutz der zivilen Freiheitsrechte und Eintreten für kulturellen Pluralismus – sind uns wichtig. Doch die Vorstanzung des politischen Diskurses gemäss dem Muster “wer gegen Covid-19-Massnahmen ist, steht rechts” verunmöglichte, dass wir als unhalbierte Stimmen hätten in Erscheinung treten können.
Wir schreiben dies einem politischen Versagen der Linken zu. Denn diese – auf Parteiebene SP und Grüne, auf Medienebene WoZ – schanzte den Protest der Rechten regelrecht zu. Von letzterer ist durchaus bekannt, dass sie den Protest für sich zu besetzen versuchte und versucht. Jetzt ist aber vielleicht der letzte Moment, dass sich Teile der Linken – nicht nur ein paar wenige AL-Exponent*innen, welche sich in einem linken Gegnerkomitee zur zweiten Abstimmungsvorlage zum Covid-19-Gesetz engagierten – auf grundrechtliche Fragen rückbesinnen: Es könnte sich sogar eine neue Partei oder eine andere politische Kraft, analog zu Operation Libero, herausbilden.
Politisch versagt hat die Linke, festgemacht an den zwei grossen Parteien SP und Grüne, nicht erst mit dem nahezu kritiklosen Befürworten der Zertifikatspflicht, sondern seit Beginn der Pandemie: Als der Shutdown verhängt wurde, erwähnte niemand jene Menschen, die bereits im Prekariat lebten oder auf Stellensuche waren. Stattdessen beschwor die SP-Bundespräsidentin das heile Bild der KMU-Schweiz, welche für einen Drittel der Bevölkerung nicht zutrifft. Und sie mahnte Solidarität an, welche, so unser Eindruck, von vielen als Gehorsam interpretiert wurde. Ebenso wurden bundesrätliche Empfehlungen von vielen als Befehle aufgefasst. Wir erschraken. Wir erschraken auch, weil die Mitteilungen der Behörden die Bevölkerung regelrecht in die Angst schickten. Zu jenem Zeitpunkt gab es beispielsweise keine behördlichen Verlautbarungen, es sei jetzt wichtig, das Immunsystem zu stärken. Klügere Köpfe schrieben schon damals, dass, wer Angst habe, nicht mehr denken könne, sondern manipulierbar sei.
Erst viel später gab es Medienberichte über psychische Schädigungen oder das schulische Manko bei Kindern infolge der Massnahmen. Auch in diesem Punkt hat die Linke versagt, indem sie dem quantitativen Muster der Naturwissenschaften folgte. Weiter ist es eine Merkwürdigkeit sondergleichen, dass die Linke fraglos eine Allianz mit der pharmazeutischen Industrie und damit dem Finanzkapitalismus einging. Wir wunderten uns, dass innerhalb der Grünen keine Stimmen mit einem Bezug zur Naturheilkunde zu hören waren, die sich kritisch zum angedachten Vorgehen – impfen, was das Zeug hält – äusserten.
Dass die mRNA-Verfahren gar keine Impfungen im eigentlichen Sinn mehr sind, mit denen das körpereigene Immunsystem provoziert wird, Antikörper zu bilden, wurde kaum je besprochen. Der Neologismus Vakzin machte die Runde, und er wanderte von PR-Texten der pharmazeutischen Industrie direkt in die mediale Berichterstattung.
Enttäuschend ist darüber hinaus, dass weite Teile der Linken nicht wahrhaben wollen, dass es unter den Massnahmengegner*innen und Gegner*innen einer Impfpflicht auch Leute gibt, die ansonsten apolitisch sind oder als Angehörige der Mitte für den gemässigten Sozialstaat einstehen oder schlicht so links denken, dass sie gegen jede Form von Nationalismus sind, also auch gegen einen kleinen Nationalismus.
Das verbreitete Unmutspotential, welches über die Frage nach sozialer Gerechtigkeit sinnvoll und ernsthaft angegangen werden könnte, entlädt sich jetzt in der Covid-19-Frage, und die Linke war so dumm, das ganze Unmutspotential der Rechten, die ein Doppelspiel betreibt, zu überlassen.
Immerhin kann man festhalten, dass im Vergleich zum nahen Ausland die Bevölkerung der Schweiz vergleichsweise glimpflich davonkam. Auch dankbar kann man sein, dass es ein Kollektiv war, das entschied, das sich wahrscheinlich in einem gewissen Sinn zusammenraufen musste. Demokratie auf Regierungsebene. Und Omikron sei Dank ist nun alles anders!
PS: Dieser Text ist die ausführliche Version eines Leser*innenbriefs (Co-Autorenschaft mit Urs Andreas Wickli), der in der Printausgabe der linken Zeitung P.S. am 11. Februar 2022 erschienen ist (www.pszeitung.ch).
*Hammerstark:* Bin dreifach Geimpft und finde es trotzdem überhaupt nicht gut, wie wir manipuliert wurden !
Omg, ich wünschte ich hätte diesen Text bereits im Februar gelesen/gefunden. Ich habe Hühnerhaut, Herzklopfen und Tränen in den Augen bei diesen Worten – weil ich mich so fest verstanden und zugehörig fühle. Danke.
Besser spät als nie! Danke für Deine Rückmeldung. Suleika.