Als sich die Leute noch Glückwunschkarten schickten, per Post und mit einer Briefmarke versehen, (und ich gestehe: ich mache das heute noch), da gab es ein Motiv, das nannte sich Ereignis. Mit Ereignis war eine Geburt gemeint, aber das stand so nicht auf der Karte. Ich fragte mich damals schon, weshalb nicht zur Geburt eines Kindes gratuliert werden darf, sondern lediglich zu eben diesem Ereignis. Doch das scheint mir im Nachhinein harmlos und wohl der Konvention geschuldet.
Unlängst sprach dagegen die amtierende Bundesrätin Viola Amherd in einem Zeitungsinterview von einem nuklearen Ereignis als möglicher Folge des Kriegs in der Ukraine. Sie nahm weder das Wort nukleare Katastrophe noch Atomkrieg in den Mund. Was sie damit bezweckte, weiss ich nicht. Doch es stimmt mich nachdenklich. Möchte die Verteidigungsministerin ihr Volk nicht beunruhigen? Oder ist für sie ein Atomkrieg etwa keine Katastrophe?
Mit ihrer – bewussten oder unbewussten – Wahl einer Worthülse steht die Bundesrätin allerdings nicht alleine da. Als Einwohnerin des Kantons Luzern wurde ich diesen Sommer mit einer Broschüre des Justiz- und Sicherheitsdepartementes, genauer: des Kantonalen Führungsstabs, beglückt. Der Titel lautete «Ihre Anlaufstelle im Ereignisfall». Darin heisst es: «Ereignisse, die den Alltag unserer Gesellschaft auf den Kopf stellen, sind auch bei uns möglich (…)». Deshalb sei es wichtig, gut vorbereitet zu sein. Unter anderem mit der mitgelieferten Liste für einen Notvorrat? Um was für Ereignisse es sich handeln könnte, davon ist keine Rede.
Willkommen in der Welt der Katastrophen, die nicht mehr Katastrophen genannt werden dürfen!
Oder ist es gerade andersrum? Dauernd wird im Zusammenhang mit Banalitäten von Skandalen und Katastrophen und Schocks gesprochen. Wenn es aber richtig ernst wird, dann werden daraus blosse Ereignisse. Ablenkungsmanöver – sowohl im ersten wie im zweiten Fall. Oder was meinen Sie?