Unlängst am Bahnhof in Luzern: Ein Mann spricht mich an, fragt, ob ich etwas Münz hätte für das Essen in der Gassenküche. Ich, eben aus Schottland zurück, wo ich unter anderem während einiger Wochen in einer Gassenküche ausgeholfen habe, drücke ihm einen Fünfliber in die Hand. Als ich auf den Bus warte, kommt mir dieses Wort in den Sinn: Randständiger

Je länger ich diesem Wort nachhänge, desto stärker wird das Gefühl: eigentlich ein sehr hässliches Wort! Ein Begriff aus der Soziologie, der sich in der Alltagssprache eingenistet hat. Randständige, das tönt nicht nach Menschen, aber laut Definition wären sie das ja schon noch irgendwie, diese Wesen: zu einer Gruppe gehörig, die an der Aussenkante der Gesellschaft steht. Würden sie sich selbst auch so bezeichnen? Oder nicht eher als Alki oder Süchti oder als jemand, der – eben – auf der Gasse lebt

Randständig  tönt für mich sauber und seelenlos zugleich. Gut gemeint, weil es wohl nicht diskriminierend sein soll, alleweil besser, als von Abschaum zu reden. Und trotzdem: Das Elend, das dahinter steht, wird gut kaschiert. Randständig gibt vor, neutral zu sein. Diese Neutralität ist aber nur eine scheinbare. Dahinter verbirgt sich die Distanznahme: Denn, wer möchte etwas zu tun haben mit einem oder einer an der Aussenkante Stehenden? 

Nach drei Monaten, in denen mich nur interessiert hat, was in Schottland geschah, bin ich schon eine Weile wieder näher dran an der Aktualität und damit unausweichlich auch näher dran am Zustand dieser Welt als Ganzes. So sehr, dass ich manchmal denke: Wir stehen am Abgrund, am Rand draussen – und noch ein Schritt, und wir fallen. Und dann wird es alle treffen, nicht nur diejenigen, die jetzt schon am Rand stehen beziehungsweise so bezeichnet werden. Oder anders gesagt: Dann werden wir uns näherkommen, als uns lieb ist.

So gesehen, könnten wir uns schon jetzt mit allen beschäftigen, die da sind, mit ihnen in Kontakt treten – auch mit jenen ausserhalb dieser Filterblase, die unser soziales Umfeld bildet. Ich Mensch, Du Mensch – und der Rest ist eigentlich nicht wirklich wichtig, oder? (Bild: nele-forscht.de auf Pixabay)

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